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Gründerportrait #87: VERSO Dresden schafft verständliche Informationen für alle

Juliane Heidelberger, Liane Drößler und Jan Langenhorst haben im September 2019 die VERSO Dresden gGmbH gegründet – ein Social Startup, das sich barrierefreier Kommunikation durch eine verständliche Sprache für alle Menschen zum Ziel gesetzt hat. Als ehemalige Studierende am Institut für Germanistik zählen die Gründer:innen zu den geisteswissenschaftlichen Ausgründungen an der TU Dresden, wo es in vielen Fällen deutlich technologielastiger zugeht. Wie sie als klassische Geisteswissenschaftler:innen zu ihrer innovativen Geschäftsidee kamen und dabei ihrem Fachgebiet treu geblieben sind, erzählen uns die beiden Gründerinnen Liane und Juliane.

Worum geht es bei eurer Idee?

VERSO steht für verständnisorientierte und barrierefreie Kommunikation. Seit zwei Jahren entwickelt unser Team innovative Formate, die dazu beitragen, Barrieren auf allen Ebenen der Kommunikation zu verringern und mehr Menschen die Teilhabe an öffentlicher Kommunikation zu ermöglichen. Praktisch sind das verständlich geschriebene Texte, aber vor allem auch hybride Kommunikationslösungen wie Video- und Audioformate für verschiedenste Zielgruppen, wie Menschen mit Beeinträchtigungen oder Sprachbarrieren. Als Dienstleister unterstützt VERSO hier nicht zuletzt öffentliche Einrichtungen bei der Umsetzung gesetzlicher Vorgaben zur Barrierefreiheit, was beispielsweise für die Universität oder die Stadtverwaltung enorm an Bedeutung gewonnen hat.

Um Informationen leicht verständlich transportieren zu können, hat VERSO in Zusammenarbeit mit Adressat:innen ein Empfehlungswerk für verständliche Sprache entwickelt. Ganz konkret können Einrichtungen und Unternehmen ihre Texte erstellen, überprüfen und zertifizieren lassen, aber auch Schulungen zu barrierefreier Kommunikation besuchen oder gemeinsam mit uns ganz neue Formate entwickeln. 

Das VERSO-Team (v.l.): Jan Langenhorst, Juliane Heidelberger und Liane Drößler (Foto: significant.pictures)

Wie seid ihr auf die Idee einer Ausgründung gekommen? 

Im Kontext der Seminare am Institut für Germanistik bei Prof. Dr. Alexander Lasch und Dr. Regina Bergmann zu barrierefreier Kommunikation sind wir uns immer wieder begegnet. Und mit ihrem Engagement und Wissen konnten sie uns für ihr Thema aktiv begeistern. In einem Pilotprojekt mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) sammelten wir außerdem wertvolle Erfahrungen und die gemeinsame Vision einer studentischen Ausgründung wuchs heran. 

Von Beginn an lag der Fokus für uns alle auf dem besonderen partizipativen Ansatz von VERSO: die adressierten Zielgruppen sollen stets aktiv in die Entwicklung und Umsetzung von Formaten für eine verständliche Sprache einbezogen werden. Dieser Anspruch spiegelt sich nicht zuletzt in unserer Rechtsform wider: das kleine „g“ vor der GmbH steht für „gemeinnützig“ – denn VERSO wurde in der Absicht gegründet, Gewinne zurück in die Wissenschaft fließen zu lassen und die linguistische Forschung zu unterstützen. 

Hat sich eure Ausrichtung in der Gründungsphase verändert?

Wir haben entdeckt, dass digitale Barrierefreiheit genauso gut zu uns passt. Die Erkenntnis, dass barrierefreie Kommunikation mehr als nur des geschriebenen Wortes bedarf, brachte uns enorm weiter. Ein Sachverhalt braucht gegebenenfalls ein Erklärvideo mit Gebärden oder Untertiteln, Texte brauchen Bebilderung, die verständlich ist und vieles mehr. Neben dem Ziel ästhetisch anspruchsvolle Texte in verständlicher Sprache zu schaffen, entwickelte sich der Anspruch, Barrieren multimedial auf allen Ebenen abbauen zu können. Das wollen wir über bedarfsgerechte komplexe Kombinationen von Video, Audio, Text und haptischem Erleben erreichen.

Was sind für euch die größten Herausforderungen als Selbstständige in einem Startup? 

Juliane: Für mich war die größte Herausforderung: Wie kann die Transformation eines theoretischen Konzepts mit Pilotprojekten in eine tragfähige Dienstleistung bzw. letztlich einen Businessplan gelingen? Das haben wir mit Trial-and-Error bisher sehr gut bewältigt. Da wir wertvolle Erkenntnisse während des EXIST-Gründerstipendiums gewonnen haben, konnten wir viel lernen, ohne etwas am Markt oder bei der Kundschaft dabei zu verlieren. Health Compliance war für uns ein Bereich, wo wir sehr großes Interesse hatten, uns zu positionieren. In Gesprächen mit Akteur:innen aus dem Feld stellte sich allerdings heraus, dass es momentan noch nicht im Bereich unserer Kompetenzen liegt, das Gesundheitswesen aufzumischen. 

Liane: Mich selbst und mein Leben zu organisieren, wann und wie ich arbeite – das ist für mich nach wie vor sehr abenteuerlich. Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen. Selbstorganisation des Arbeitsalltags mit Familie während einer Pandemie ist eine ganz besondere Herausforderung. Die hohe Eigenverantwortung ist einerseits ein Risiko, andererseits sind wir viel freier in der Gestaltung des Tagesablaufs. Gerade bei der Kinderbetreuung hat das Vorteile. 

Juliane: Ich habe im Gegensatz zu den anderen schon 15 Jahre Erfahrung mit Selbstständigkeit im Bereich Unternehmenskommunikation. Ich wusste bereits, dass ich der Typ dafür bin und lieber selbstbestimmt für eine Sache arbeite, für die ich auch brenne. Generell kommt mir die hohe Entscheidungsfreiheit als Gründerin sehr entgegen – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass wir an einer gesellschaftlichen Aufgabe arbeiten, die von Herzen kommt und viel authentischer ist, als beispielsweise Werbetexte für irgendwelche beliebigen Produkte zu verfassen. 

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei VERSO aus?

Liane: Aktuell ist der Arbeitsalltag natürlich geprägt durch Home Office und Corona. Für die Schutzverordnungen erstellen wir laufend neue barrierefreie Informationen. Durch Corona fehlt mir aber leider das Gefühl, als Team zu arbeiten – ich vermisse die Leute um mich herum, ein größeres Teammeeting, Austausch und Interaktion. Darüber hinaus dreht sich vieles um die Texterstellung: Dazu zählen barrierefreie Dokumente und auch die Umsetzung ganzer Websites. 

Juliane: Vieles davon ist auch Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit. Wir sind ehrenamtlich in verschiedenen Institutionen aktiv wie dem Inklusionsnetzwerk Sachsen oder dem Arbeitskreis Inklusion des Bistums Dresden-Meißen. Wir haben eine Website, ein Blog und Social-Media-Kanäle, die wir bespielen. Und natürlich gibt es auch immer Gespräche mit Kund:innen, Angebote und Rechnungen zu schreiben, Briefing und Texterstellung, Redaktionskonferenzen und Korrekturschleifen.

Schön wäre es, wenn der partizipative Anteil des Tagesgeschäfts wieder ansteigen könnte: Aktuell ist es schwieriger, mit der Zielgruppe aktiv in Kontakt zu stehen, da wir niemanden durch Infektionsrisiken in Gefahr bringen möchten.

Welches Projekt beschäftigt und begeistert euch aktuell besonders?

Juliane: Mit dem Netzwerk für inklusive politische Bildung  arbeiten wir gerade an barrierefreien Wahl-und Parteiinformationen für die anstehende Bundestagswahl. Dafür haben wir einen Fragebogen erstellt, der gezielt die Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen berücksichtigt – beispielsweise das Recht auf Wohnen. Hierfür wird es dann Interviews in Form von hybriden Formaten mit Politiker:innen geben. Diese können dann  in Wohngruppen oder Werkstätten möglichst attraktiv für die Zielgruppe verwendet werden. Durch Corona ist der Bedarf an solchen Informationszugängen nochmal enorm gewachsen.  

Was macht euch besonders stolz?

Juliane: Wir waren letztes Jahr bei futureSAX für den sächsischen Gründerpreis nominiert – aber klar, dass wir da als Social Startup keine Platzierung zwischen den Silicon Saxony Startups erhalten, die uns technologisch voraus sind. Wirklich stolz sind wir hingegen darauf, dass wir zu Beginn von Corona nicht in die Schockstarre gegangen sind, sondern Eigeninitiative gezeigt haben und unentgeltlich Infomaterial in verständlicher Sprache für Behörden und Einrichtungen zur Verfügung gestellt haben. Das brachte uns unheimlich viel: der Freistaat Sachsen und die Stadt Dresden nutzen auf ihren Websites unsere Texte und Materialien. Das hat wiederum zu gutem Feedback von den Behindertenbeauftragten und Inklusionsbeauftragten geführt.

Liane: Dass Institutionen und Leute von sich aus auf uns zugehen.  Durch einen Rahmenvertrag mit der Stadt Dresden, hatten wir mit einem Schlag einen ganzen Haufen Referenzen. Unser Logo tauchte bei all den Beteiligten auf – und das verselbstständigte sich damit ein Stück weit. Mit der barrierefreien Überarbeitung der Webseiten des Bereichs Geisteswissenschaften der TU Dresden konnten wir uns in einem großen Projekt richtig ausleben und haben viel gelernt. Als Folgeprojekt konnten wir eine barrierefreie Überblicksseite für die TU Dresden machen. 

Startseite des Bereichs Geistes- und Sozialwissenschaften Barrierefrei der TU Dresden

Welche Unterstützung hat euch in der Gründungsphase besonders geholfen?

Juliane: Das EXIST-Gründerstipendium. Es hätte zwar auch ohne die Förderung ein Projekt oder eine Ausgründung gegeben, aber die Teambildung hätte ganz anders ausgesehen und es hätte eine sehr lange Anlaufphase gegeben. Dank Stipendium konnten wir uns voll drauf konzentrieren und mussten keinen Nebenjob machen. Das ist absoluter Luxus. 

Die Begleitung durch dresden|exists hat uns bei der Schärfung unseres Profils sehr geholfen: Vom Verfassen des Ideenpapiers bis zum Businessplan, die vielen Workshops wie Vertrieb und das Venture Acceleration Programm mit dem Demo Day in Meißen sind da wichtige Punkte gewesen. 

Das Wichtigste, was wir dabei gelernt haben, war: Manchmal muss man zwei drei Schritte rückwärtsgehen, um Anlauf zu nehmen. Kleine Rückschritte sind in diesem sicheren Rahmen nicht schlecht, denn man lernt immer was. Der Schmerz war viel geringer, als wenn es „draußen“ Geld oder Kunden gekostet hätte.

Liane: Ohne euer Acceleration Programm hätten wir nicht so leicht Kontakt zu anderen Startups bekommen. Die EXIST-Lounge ist ein tolles und informatives Format, aber es ist viel schwerer, sich dort oder online kennenzulernen. Man kommt sich nicht so nah wie in den Workshops. Erst denkt man, da geht ein ganzer Tag dabei flöten und dann merkt man aber, es bringt was! Vor allem im Nachhinein ist es wertvoll, mit anderen Gründer:innen in Kontakt zu stehen und so viel von ihnen zu lernen. Durch euch haben wir auch an Öffentlichkeit gewonnen und ein Gesicht bekommen.

Demo Day in Meißen: der barierrrefreie Museumsguide im Test (Foto: dresden|exists)

Welche Erfahrungen oder Tipps möchtet ihr anderen Gründern mit auf den Weg geben?

Juliane: Selbst wenn sich etwas als nicht tragfähig herausstellt oder im Team etwas nicht so rund läuft: Das ist eben eine Findungsphase. Es ist wichtig, dass man sich davon nicht abbringen lässt. Wenn man einmal gegründet hat, wächst auch eine verbindlichere Haltung zum Team. Vorher lotet man die Teamkonstellation besser mal aus. Mit einem Bierdeckelbusinessplan am nächsten Tag zur Notarin zu gehen, empfehle ich nicht. 

Liane: Dass man sich getrost Hilfe suchen kann! Darunter zählen Netzwerkaufbau und Partnersuche – man kann sich connecten, Teams kennenlernen, Fördermittel finden. Bei einer Beginnerinnen-Veranstaltung habe ich viele Frauen kennengelernt. Es war für mich wichtig zu sehen, wie andere Mütter das machen und wie auch sie das schaffen. 

Was man üben muss, ist ehrliche und offene Kommunikation im Team. Wie fordere ich etwas, was spreche ich wie an, wie spreche ich Probleme frühzeitig an, um Frust zu vermeiden? Eine Teamstruktur zu organisieren und lernen, miteinander zu kommunizieren, ist ganz wichtig. 

Wo seht ihr euer Unternehmen in 5 Jahren? 

Liane: Ich sehe uns als etablierten Player auf dem Markt der barrierefreien Kommunikation in gegenseitiger Akzeptanz der anderen Akteur:innen. Wir werden aber aufgrund unserer partizipativen Arbeitsweise für gewisse Institutionen die besseren Ansprechpartner:innen sein.
Unsere Museums-App wird groß rausgekommen sein und wir haben uns damit einen Namen gemacht. Ich wünsche mir auch, dass wir ein inklusives Unternehmen sind. Dass wir nicht nur für, sondern mit den Menschen arbeiten, die Adressat:innen sind. Sie sollen nicht nur in der Texterstellung einbezogen werden, sondern fest angestellt im Team sein und Entscheidungen mit treffen können. 

Juliane: Gerne würden wir in 5 Jahren tatsächlich auch einen Standort haben, an dem wir integriert sind: Wir möchten da angebunden zu sein, wo Partizipation von Menschen mit Beeinträchtigungen mit und in der Dresdner Bürgerschaft gelebt wird. Wir wären gern eine Schnittstelle, wo Begegnung und Umsetzung stattfindet. Wir würden gerne personalmäßig wachsen und außerdem ein Lizenzmodell aufbauen. Das soll, kleinen Übertragungsbüros ermöglichen, unsere Materialien und unser Know-how zu nutzen – nur als social Innovation – ohne Franchisegebühren. 

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