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Gründerportrait #87: Semodia GmbH

Im Juni 2019 gründeten Anna Menschner, Henry Bloch, Stephan Hensel und Jan Funke die Semodia GmbH. Dabei verstehen sich die Vier als Renovatoren verschiedener Industriesparten. Mit Semodia modularisiert das Team die automatisierungstechnischen Anlagen der (zunächst) chemisch-pharmazeutischen Industrie. Klingt nicht so spannend? Ist es aber. Was Traube-Nuss-Schokolade und eine eierlegende Wollmilchsau mit diesem Hightech-Startup zu tun haben, erklären uns die Gründer:innen im Interview.

Worum geht es bei eurer Geschäftsidee?

Semodia: Im produzierenden Gewerbe wird in der Regel mit Anlagen unterschiedlicher Hersteller gearbeitet. Bisher ist es so, dass diese Anlagen nicht „miteinander sprechen“. Bekannt vielleicht aus alltäglichen Dramen wie „IPhone spricht nicht mit Android Wearable“. Mal eben eine Maschine austauschen, um den Herstellungsprozess zu erweitern oder zu ändern, funktioniert faktisch gar nicht, ohne das Kappen von riesigen Kabelbäumen. Ergo: aktuell wird der komplette Prozess eingestampft und neu gemacht. Dem Unternehmen entstehen enorme Kosten in Form von Material, Anlagen und vor allem Arbeitszeit.

Semodia möchte das ändern und setzt in dem Prozess bereits an der Stelle an, wo Anlagen unterschiedlicher Hersteller gelernt bekommen, „miteinander zu sprechen“. Diesen Job übernehmen die von Semodia entwickelte Soft- und Hardware, um das Module Type Package (MTP) zu generieren. Dieses agiert quasi als „Feel Good Manager“ der Anlagen und sorgt als standardisierte Kommunikationsschnittstelle dafür, dass die Anlagen sich verstehen. Das darf man sich so vorstellen, dass im Herstellungsprozess dann nicht mehr fünf Anlagen nebeneinanderstehen und jede für sich arbeitet, sondern dass diese Anlagen in sinnhaftem Austausch miteinander arbeiten. Plug & Produce im Sinne eines Legostecksystems wird möglich. Übertragen in die Praxis heißt das in etwa: in der Schokoladenfabrik soll nun nicht mehr nur Vollmilchschokolade produziert werden, sondern bei Bedarf auch Traube-Nuss? Kein Problem. Vollmilchmodul und Abfüllstation auseinanderrücken, Traube-Nuss-Modul einsetzen. Fertig.

Das MTP ermöglicht es Anlagen miteinander zu kommunzieren. (Abbildung: Semodia)

Wie sieht euer klassischer Kunde aus? Und wie profitiert er von eurem Produkt?

Semodia: Unsere Kunden sind nicht in erster Linie die Anlagenbetreiber, sondern die Hersteller der Module, die für die Anlagen gebaut werden. Unsere Technologie bietet spannende Möglichkeiten, die Prozesse sowohl beim Modulhersteller als auch beim Anlagenbetreiber zu optimieren. Dabei dürfen wir unser MTP und Semodia als die eierlegende Wollmilchsau bezeichnen. Wir sprechen über eine Zeitersparnis bei der Änderung von Prozessen von rund 90 Prozent, womit eine weitaus höhere Anlagenauslastung möglich ist. Umgelegt auf die Arbeitszeit der eingesetzten Ingenieure spart der Kunde hier rund 120€ pro Stunde pro Ingenieur. Zeit- und Geldeinsparungen – jetzt kann man nun kaum erwarten, dass eine entsprechend hohe Qualität gewährleistet werden kann. Aber genau das kann Semodia noch dazu versprechen. Eine mindestens gleichbleibende Qualität innerhalb der Produktionsabläufe.

Wie entstand die Idee und wann habt ihr entschieden, sie auch umzusetzen?

Semodia: Henry, Anna und Stephan arbeiteten lange Zeit im selben Forschungsprojekt und waren lose im Kontakt. Unabhängig von einander sprachen Stephan mit Anna und dann wieder Stephan mit Henry über den Lösungsansatz, der nun mit Semodia entwickelt wird. Das konnte so nicht im Raum stehen bleiben und das erste persönliche Gespräch zwischen uns Dreien fand im März 2018 statt. Sehr schnell entschieden wir, diese Idee weiterzuverfolgen und wollten es gemeinsam angehen. Wir machten uns fit fürs Gründen und erfuhren im Businessplan-Seminar an der HTW Dresden von der Möglichkeit, ein EXIST Gründerstipendium zu beantragen. Nach einigen Iterationsschleifen mit unserem Berater von dresden|exists reichten wir kurz vor Weihnachten 2018 den Antrag ein. Es lief direkt gut für uns und wir starteten am 1. April 2019 ins Projekt Semodia. Parallel bekam Jan, unser vierter Mitgründer und gleichzeitig erster Angestellter, das Technologiegründerstipendium des Freistaates Sachsen bewilligt, sodass wir nun ein Jahr Zeit hatten, unsere Idee zu entwickeln und zum Fliegen zu bringen.

Was waren die drei größten Herausforderungen auf dem Weg zum Startup und wie habt ihr sie bewältigt?

Semodia: Was uns zum Beginn der Projektlaufzeit ein wenig schwer fiel, war, einen internen Arbeitsmodus für uns als neues Team zu finden. Da wir alle aus demselben wissenschaftlichen Kontext kommen, wäre grundsätzlich jeder für mehrere Bereiche einsetzbar gewesen. Wir haben in langen Runden eruiert, wer in welchen Arbeitsfeldern seine größten Stärken hat, und damit einen stabilen Modus gefunden. Jedem ist nun sehr klar, welches seine oder ihre Baustellen sind. Dennoch könnte jeder, zumindest zeitweise, für den anderen einspringen und sprechen. Das sehen wir mittlerweile als absoluten Vorteil.

Mit dem Wissen, welche Herausforderungen noch kommen, würden wir über ihn heute sicher milde lächeln. Aber zu dem Zeitpunkt war er eine der größten Herausforderungen. Der Gesellschaftervertrag. Punkt für Punkt oder besser Pünktchen für Pünktchen gingen wir mit dem Notar durch. Alles haben wir hinterfragt, wollten es ganz genau wissen, in der Annahme, mit dem Vertrag etwas für die Ewigkeit in Stein zu meißeln. Nur ein Jahr später wurde mit dem Investor an Bord einmal alles neu diskutiert und der Gesellschaftervertrag war unsere kleinste Herausforderung.

Die größte Hürde, und da sind wir uns alle einig, war das Abschließen der ersten Finanzierungsrunde während COVID-19 in allen Kontinenten, Regionen und Branchen wütete. Verzögert und mit Verlusten auf der Strecke, ist es uns im August 2020 gelungen, unsere erste Finanzierungsrunde erfolgreich abzuschließen. Ohne Struktur, gnadenlose Offenheit und Resilienz wäre das sicher nicht möglich gewesen.

die vier Gründer von Semodia
Das Team von Semodia: Henry Bloch, Jan Funke, Anna Menschner und Stephan Hensel. (Foto: Anne Oehlert)

Was macht euch besonders stolz bzw. was waren eure größten Erfolge?

Anna: Mich macht es besonders stolz, dass wir unserer Struktur der drei Geschäftsführer treu geblieben sind. ‚Spätestens der Investor will genau einen Geschäftsführer als Ansprechpartner haben‘, wurde uns von mehreren Stellen prophezeit. Wir konnten das immer erfolgreich wegdiskutieren und sind stolz auf unseren Kurs mit drei gleichrangigen Geschäftsführern und unserer gelebten Unternehmenskultur der flachen Hierarchien.

Stephan: Dass wir als Team noch immer so gut funktionieren und harmonieren, macht mich wirklich stolz. Nicht nur im Unternehmen, auch privat sind wir sehr eng. Gleiche Ziele und Werte verbinden Mensch und Unternehmen als Team. Die neuen Mitarbeiter, die bereits da sind oder die wir in den nächsten Wochen einstellen, werden direkt darauf eingeschworen.

Henry: Neben einem tollen Team sind wir alle ja auch Unternehmer und darauf bedacht, dass wir rentabel sind. Daher war es für mich schon auch ein extrem tolles Gefühl, als das erste Mal Gehalt von der GmbH auf dem Konto gelandet ist. Nicht von der Uni, nicht aus dem Projekt, sondern direkt aus dem eigenen Unternehmen.

Jan: Wir waren in den letzten Monaten schwer beschäftigt mit unserer Anschlussfinanzierung, Kundenakquise, COVID-19-Brände löschen etc. Und ganz nebenbei haben wir es mit unserem kleinen Team geschafft, noch mehrere Produkte zu launchen. Das macht mich besonders stolz.

Welche Unterstützung hat euch in der Gründungsphase geholfen?

Semodia: Hier möchten wir ganz klar den Support von dresden|exists vorn anstellen. Von der Antragstellung für das EXIST Gründerstipendium, über verschiedene Workshops zu Kundenansprache, Kommunikation oder die Beratung zur Gründung und Finanzierung haben uns sehr weitergeholfen. Auch der Austausch mit anderen Startups aus der EXIST-Förderung, sei es in persönlichen Gesprächen bei der EXIST-Lounge oder der Team-Telegram-Gruppe hilft enorm weiter und wenn es manchmal nur zeigt: du bist nicht allein mit deinen Sorgen und Nöten.

Aber auch unser Notar von Heckschen & van de Loo war sehr hilfreich und hat weit mehr geleistet als das, was er musste und wofür er bezahlt wurde.
Da wir persönlich im Freundes- und Bekanntenkreis viel mit Startups und Gründern zu tun haben, wurde unsere Reise Startup auf ein angenehmes Level „Normal“ gebracht. Wir waren nicht die hippen Exoten und mussten uns nicht ständig erklären, weil wir vorhatten zu gründen. Von Jugendbeinen an gehört Unternehmertum für uns zur gängigen Praxis, so dass uns der Rückhalt aus dem Familien- und Freundeskreis von Anfang an sicher war.

Welche Faktoren sind aus eurer Sicht für den Erfolg eines Startups relevant?

Sicherlich sind unsere Tipps nicht nur bezogen auf den Erfolg eines Startups. Aber für uns sind dies die relevanten Schlüssel genau für unseren Erfolg.

  • Seid bereit und offen dafür, euch weiterzuentwickeln, damit ihr „kompetenzoptimal“ aufgestellt seid.
  • Haltet euch nicht am Kleinklein auf, sondern habt das große Ganze im Blick, dann gelingt es einfacher, entspannt zu bleiben, agil zu denken und unternehmerisch zu handeln.
  • Und ganz wichtig, wenn nicht gar am wichtigsten: verliert nie den Spaß am Tun und vor allem am gemeinsamen Tun!
Vier Personen am Besprechungstisch
Gemeinsam wollen sie die Prozessindustrie auf den Weg zur Industrie 4.0 bringen – die Gründer:innen von Semodia. (Foto: Semodia)

Wo seht ihr euer Unternehmen in fünf Jahren?

Semodia: Wir sind DER MTP-enabler in Europa, Asien und den USA mit unserem Hauptstandort in Dresden. Wir haben remote weitere Vertriebsstandorte in Deutschland und Europa aufgebaut und beschäftigen mittlerweile mehr als 20 Mitarbeiter. Uns ist es gelungen, unsere Unternehmenskultur der flachen Hierarchien und kompetenzorientierten Mitarbeiterauswahl beizubehalten und ganz wichtig: wir sind noch immer Freunde!

Das Interview führten Sandra Hübener und Marco Rösler (Berater der Semodia GmbH im EXIST-Prozess).

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