Mit dem Fahrrad endlich entspannt durch den Straßenverkehr oder das eigene Auto schonen und kaputte Straßen meiden? Die Gründer von Cyface haben eine Lösung entwickelt, die den Zustand von Straßen einfach erfasst und diese Daten für Planungsbüros oder Navigationsanwendungen verfügbar machen.
Die Informatiker Dr. Klemens Muthmann und Armin Schnabel, sowie der Volkswirt Dirk Ackner haben im Mai 2017 ihr Unternehmen gegründet. Im Interview berichten sie über die Gründung und ihre Erfahrungen im Accelerator-Programm DeltaHochDrei von dresden|exists.
Worum geht es bei eurer Geschäftsidee?
Mit der Software von Cyface erfassen Ingenieurbüros den Straßenzustand kinderleicht mit dem Smartphone. Während der Fahrt, mit dem Fahrrad oder Auto, werden Erschütterungs- und Bilddaten aufgezeichnet und automatisch von Cyface ausgewertet, wodurch ein aktuelles Abbild der Fahrbahn entsteht. Basis des Messsystems sind herkömmliche Smartphones oder eigens entwickelte Messboxen, die am Fahrzeug befestigt werden. Innovative maschinelle Lernverfahren und statistische Methoden bewerten die einzelnen Streckenabschnitte automatisch und sind daher die wichtigsten Bestandteile von Cyface.
Die fokussierte Zielgruppe sind Ingenieur- und Planungsbüros, die im Auftrag von öffentlichen Institutionen, die Qualität von Straßen und Wegen begutachten. Wir stellen dazu ein Werkzeug bereit, welches erheblich kostengünstiger und flexibler einsetzbar ist, als die bisher verwendeten Lasermessverfahren und zudem Objektivität garantiert. Im Gegenteil dazu werden vielerorts teure Sichtfahrten durchgeführt. Auch für bestehende Navigationsanwendungen sind die erstellten Oberflächenprofile von Interesse, da dadurch die Routenplanung erweitert werden kann.
Wie entstand die Idee und wann habt ihr entschieden, sie auch umzusetzen? Stand es für euch von Anfang an fest, darauf aufbauend ein eigenes Unternehmen zu gründen?
Ausgangspunkt und Motivation für das Projekt war der Ärger über die schadhaften Straßen und Fahrradwege. Klemens ist passionierter Fahrradfahrer und täglich mit seinem Drahtesel auf Dresdens Straßen unterwegs. Nach einer holprigen Fahrt durch das hiesige Stadtzentrum hat er sich gefragt, ob es (online) eine Karte gibt, welche die Fahrbahnbeschaffenheit veranschaulicht und er sich somit schon im Vorfeld ein Bild über die geplante Strecke machen kann. Er konnte keine geeignete Karte finden und diskutierte im Rahmen einer Konferenz die Möglichkeit einen Messwagen zu konstruierten, der Fahrbahn mit Beschleunigungssensoren und/oder Kamera die Fahrbahnqualität aufzeichnet. Die Idee für Cyface wurde dadurch geboren, da so ein aufwändiger und teurer Messwagen nicht benötigt wird, sondern auch herkömmliche Smartphones ausreichen. Zudem war eine softwarebasierte Lösung hierzulande nicht vorhanden.
Nach dreijähriger Forschungsarbeit am Lehrstuhl für Rechnernetze der TU Dresden trafen wir die Entscheidung, diese Idee kommerziell umzusetzen und ein eigenes Unternehmen zu gründen. Ziel war die Entwicklung einer Software zur einfachen Aufzeichnung und Darstellung der Straßenqualität.
Was waren die drei größten Herausforderungen auf dem Weg in die Selbstständigkeit und wie habt ihr sie bewältigt?
Die wohl größte Herausforderung für uns war und ist die Entwicklung eines tragfähigen Geschäftsmodells. Uns war von Beginn an klar, dass die technische Realisierung möglich ist, nur nicht wie man damit Geld verdienen kann. Wir haben viele potentielle Kunden angesprochen und konnten somit herausfinden, welche Zielgruppen tatsächlich zahlungsbereit sind.
Eine weitere Schwierigkeit für uns war die schnelle Entwicklung eines funktionsfähigen Prototyps. Dazu zählten die zugrundeliegenden Algorithmen sowie eine einsatzfähige Messbox. Die Ergebnisse haben wir in Zusammenarbeit mit einem Kooperationspartner evaluiert.
Wie bei wahrscheinlich jedem anderen Startup spielte die Finanzierung auch bei uns eine nicht unerhebliche Rolle. Durch zwei Gründerstipendien konnten wir unseren Lebensunterhalt sichern und uns den wichtigen Entwicklungsarbeiten widmen.
Aus welchem Fehler habt ihr am meisten gelernt? Gibt es Dinge, die ihr heute anders machen würdet?
Wir haben anfangs zu viel Zeit in die reine Entwicklung eines Prototyps gesteckt, ohne jedoch marktrelevante Anforderungen direkt einfließen zu lassen. Wenn wir die Uhr zurückdrehen könnten, würden wir noch früher damit beginnen, potentielle Kunden anzusprechen. Darüber hinaus haben wir den Fehler gemacht, Konkurrenten auf Abstand zu halten. Jetzt hat sich herausgestellt, dass einer dieser Konkurrenten ein potentieller Kunde ist. Daher ist auch die Ansprache ausgewählter Konkurrenten nicht immer von Nachteil.
Zu guter Letzt haben wir uns vor allem auch zu Beginn verstärkt auf eine Zielgruppe konzentriert, die bedauerlicherweise keine entsprechende Zahlungsbereitschaft hatte. Dadurch haben wir wichtige Zeit, Energie und Nerven verloren.
Was macht euch besonders stolz bzw. was waren bisher eure größten Erfolge?
Die Tatsache, dass wir aus einem studentischen Forschungsprojekt eine GmbH gegründet haben, macht uns besonders stolz. Wichtige Meilensteine dabei waren natürlich das EXIST-Gründerstipendium, das SAB Technologiegründerstipendium und die bisherigen Akquisetätigkeiten. Abgesehen davon freut uns die Auszeichnung mit dem Deutschen Mobilitätspreis 2016, der uns vom Bundesverkehrsministerium in Berlin verliehen wurde, und dem Innovationspreis Mobilitätswirtschaft (verliehen von Promotion Nordhessen). Stolz sind wir auch darauf, dass eine unserer Messboxen in einer New Yorker U-Bahn mit dem Ziel getestet wurde, mit Hilfe des Erschütterungsprofils die Schienenbeschaffenheit zu beurteilen.
Welche Unterstützung hat euch in der Gründungsphase besonders geholfen?
Wir hatten die Möglichkeit an der Acceleration-Phase des Programms DeltaHochDrei teilzunehmen, welches u.a. ein vielseitiges Coachingprogramm mit ausgewählten und gut geschulten Coaches beinhaltet. Die Themeninhalte waren gut abgestimmt auf aktuelle Herausforderungen des Startup-Alltags. Was uns besonders gut gefallen hat ist die Tatsache, dass das gesamte Programm mit weiteren Startups durchlaufen wurde. Dadurch konnten wir uns gegenseitig unterstützen, Hinweise geben und über Entwicklungen und Probleme austauschen.
Da wir als Teilnehmer stets aktiv in die Workshops eingebunden waren, konnten wir unsere eigenen Geschäftsideen einbringen. Auf diese Weise erhielten wir Erkenntnisse und Hinweise speziell für unseren Anwendungsfall. Was uns vor allem weitergeholfen hat waren die Themen:
- Workshop Tools zur kundenorientierten Produkt- und Geschäftsentwicklung
- Kommunikation mit Kunden
- Kommunikation & Pitch-Training
Durch die ständige Betreuung von dresden|exists hatten wir mit Katja Ziesche stets einen Ansprechpartner zur Seite der uns tatkräftig unterstützt hat. Regelmäßige Treffen führten dazu, dass aufkommende Herausforderungen und Probleme gemeinsam frühzeitig erkannt und Lösungen erarbeitet werden konnten.
Welche Bedeutung hatte das EXIST-Gründerstipendium?
Als wir beschlossen haben, aus dem Forschungsprojekt ein eigenes Startup zu machen, war uns direkt klar, dass dies nur mit finanzieller Unterstützung möglich ist. Denn erste Umsätze würden lange auf sich warten lassen, weil die Produktentwicklung etliche Monate beanspruchen wird. Daher haben wir das EXIST-Gründerstipendium beantragt, um uns in dieser Zeit den Lebensunterhalt zu sichern. Das Stipendium gab uns dann zusätzlich die Möglichkeit ein eigenes kleines Büro an der Universität zu beziehen und aus den zur Verfügung gestellten Sachmitteln alle benötigten technischen Geräte zu kaufen. Auf diese Weise konnten wir uns anfangs ganz auf die Softwareentwicklung und Marktanalyse konzentrieren. Ohne das EXIST-Gründerstipendium hätten wir diesen Weg höchstwahrscheinlich nicht eingeschlagen.
Welche Faktoren sind aus eurer Sicht für den Erfolg einer Existenzgründung wichtig?
Es ist schwierig, die wichtigsten Faktoren zu nennen, die eine erfolgreiche Existenzgründung ausmachen. Wirklich validierbare Aussagen können erst nach einer gewissen Zeit getroffen werden. Jedoch denken wir, dass auf jeden Fall ein starkes Produkt im Fokus steht, was gemeinsam mit ersten Pilotkunden entwickelt wurde und echte Probleme löst. Daneben ist ein harmonisches Team wichtig, was sich gegenseitig in den Fähigkeiten, Erfahrungen und Kompetenzen ergänzt. Zu guter Letzt zeichnen sich erfolgreiche Gründungen oft auch durch eine Portion Glück und ein gewisses Durchhaltevermögen aus, was bedeutet, sich nicht bei jedem auftretenden Problem geschlagen geben.
Welche Erfahrungen/Tipps möchtet ihr anderen Gründern mit auf den Weg geben?
Achtet von Beginn an darauf, dass euer Produkt oder eure Idee gemeinsam mit einem ersten Pilotkunden entwickelt wird. Dadurch erhaltet ihr praxisnahe Rückmeldungen die dann in die Produktentwicklung einfließen können.
Wählt eure Teammitglieder sorgfältig aus. Teilweise verbringt ihr mit ihnen mehr Zeit als mit euren Partner/-in. Deshalb sollte neben fachlichen Kenntnissen auch darauf Wert gelegt werden, dass sich das Team menschlich versteht und die Gründer sich gut verstehen.
Wir wussten bereits im Vorfeld, dass es nicht einfach wird, ein funktionsfähiges Produkt und vor allem auch Geschäftsmodell zu entwickeln. Daher überrascht uns die Mühe und der notwendige Aufwand eher weniger. Dennoch beeindruckt uns die Tatsache, dass man tagtäglich dazulernt und neue kreative Lösungen entwickelt, um die aufkommenden Aufgaben zu bewältigen. Wir haben für uns auch die „Salami-Taktik“ entdeckt. So werden große Aufgabenblöcke in kleinere Aufgaben zerlegt und erscheinen weniger bedrohlich. Auf diese Weise hat man deutlich mehr Erfolgsergebnisse und kann auch komplexe Probleme bewältigen.
Wie sieht bei euch im Moment ein üblicher Arbeitstag aus?
Jeder Arbeitstag beginnt bei uns 9 Uhr mit einem morgendlichen „Stand-up meeting“, wobei jeder kurz erklärt was am Vortag passierte, welche Aufgaben gerade bearbeitet werden und was danach ansteht. Wir versuchen dabei den zeitlichen Rahmen von 5 Minuten nicht zu sprengen. Sollte sich einer im Homeoffice befinden, wird dieser einfach per Video dazugeschaltet. Tagesabhängig wird dann im Büro gearbeitet oder Auswärtstermine wahrgenommen. Der Heimweg wird dann individuell ab 17 Uhr angetreten, obwohl das meist nicht bedeutet, dass der Arbeitstag damit beendet ist. Oftmals werden auch dann noch von zu Hause aus kleinere Programmieraufgaben erledigt oder Mails beantwortet. Für uns war es von Beginn an wichtig, eine gewisse Systematik an den Tagesablauf und Büroalltag zu bekommen.
Wo seht Ihr euer Unternehmen in 5 Jahren?
Wir streben an, dass unsere Software das meistgenutzte Werkzeug zur Erfassung des Zustands von Fahrradwegen und Nebenstraßen ist. Dies ist jedoch nur durch weitere aussagekräftige Referenzprojekte möglich, da sich besonders im öffentlichen Bereich innovative Technologien nicht so einfach etablieren. Die derzeitigen Entwicklungen lassen aber erkennen, dass wir auf einem guten Weg sind.
Abgesehen von der reinen Straßenzustandserfassung kann unsere Software auch dazu verwendet werden, bestehende Navigationsprozesse zu verbessern. Wir würden uns daher wünschen, dass unsere Technologie in populäre Navigationsapps im Fahrradbereich integriert wurde.