Veröffentlicht am

Mit High-Tech statt Hype-Tech aus dem Labor ins eigene Startup

Egal ob im Fernsehen, im Internet oder ganz altmodisch analog – Startups gewinnen an Popularität. Oft dreht es sich dabei um Consumer-Themen wie Essen, Haushaltsgegenstände oder Apps. Aber wo sind die wissenschaftlichen Hightech-Ausgründungen? Die Ideen, die mit viel Herzblut im Labor entstehen und es vielleicht zur Anwendung „im echten Leben“ schaffen? Drei davon, watttron, Senorics und In Harmony, haben uns beim Meetup am 10. September 2018 von ihren Stolpersteinen und Erfolgen erzählt. Zu Gast waren wir diesmal im Technologie- und Gründerzentrum Freital, wo seit einiger Zeit das Team der watttron GmbH sitzt. Wer bereits bei einem unserer Meetups war weiß: Hier geht’s zur Sache! So war es für uns wieder ein toller Abend mit vielen bekannten und neuen Gesichtern, Gründergeschichten, Plänen und Brezeln. Wir lassen mal die leider viel zu geringe Frauenquote beiseite (Hey, wo wart ihr?).

Gespannte Zuhörer beim Founders-Meetup.
Gespannte Zuhörer beim Founders-Meetup.

Watt is denn nu watttron?

Begonnen hat die ganze Geschichte von watttron bereits 2007, wie uns Marcus Stein, einer der vier Mitgründer, berichtete. Während seiner Forschungsarbeit am Institut für Verarbeitungsmaschinen und mobile Arbeitsmaschinen (TU Dresden) hatte Dr. Sascha Bach eine Idee. Er wollte Kunststoffflächen mit einem speziellen System inhomogen erhitzen und dadurch sparsamer und umweltfreundlicher formen. Denn bislang verbraucht man bei der Herstellung von Plastikverpackungen unnötig viel Material. Ein Beispiel: Der Käufer eines Joghurts zahlt für das „Ringsrum“, also das Material und dessen Verformung zum handlichen Becher, weitaus mehr als für den essbaren Inhalt. So lag es also nahe, ein Gerät zu entwickeln, mit dem dieser Formungsprozess optimiert und kostengünstiger wird. Ähnlich wie ein Fernseher mit vielen Pixeln können über das Matrix-Heizsystem cera2heat® einzelne kleine Flächen getrennt voneinander angesteuert und mit unterschiedlichen Temperaturen erhitzt werden. Klingt soweit super. Alle Unternehmen, die davon hörten, waren von der Idee begeistert. Aber egal, wie innovativ und ökonomisch die Technologie ist – der Schritt zur Marktreife kostet Geld und schien allen Interessenten wohl doch zu riskant.

Marcus Stein erzählt von seinen Erfahrungen als watttron-Mitgründer. (Foto: dresden|exists)
Marcus Stein erzählt von seinen Erfahrungen als watttron-Mitgründer. (Foto: dresden|exists)

Da die Wissenschaftler keine Unternehmenspartner für die Umsetzung finden konnten, entschlossen sie sich einfach ein eigenes Unternehmen zu gründen. Mit dem EXIST-Forschungstransfer (EFT) warben sie Anfang 2015 Geld für die Weiterentwicklung ein. Durch Usability-Studien und den Besuch verschiedener Fachmessen konnte das Team zukünftige Anwender unter die Lupe nehmen und Kunden akquirieren. 2016 war es dann so weit: Das Unternehmen watttron GmbH wurde offiziell gegründet und finanziert sich seit Tag 1 durch eigene Umsätze. Ein Fakt, auf den das Team mehr als stolz sein kann. Und dass sich die Mühe gelohnt hat, sieht man auch an den zahlreichen Auszeichnungen, die watttron bis heute gewonnen hat. Was hat sich heute im Vergleich zur Anfangszeit geändert? Während zunächst alle Kraft der Forschung und Entwicklung galt, wächst inzwischen das Business ringsherum. Geschäftsbereiche wie Marketing oder Personalmanagement sind für den Erfolg essenziell und aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.

Schneewittchen hätte den Apfel nicht gegessen, wenn…

… sie diese Technologie genutzt hätte. Ronny Timmreck von Senorics erklärte auch warum. Mit ihrem Foodscanner kann man analysieren, aus welchen Stoffen unser Essen besteht. Das Ganze funktioniert über Infrarotspektroskopie. Dank einem kleinen wellenlängenselektiven Chip ist die Anwendung sogar mobil im Smartphone möglich. Diese vielfältig einsetzbaren Chips fertigt Senorics derzeit in einem Labor der TU Dresden. Eine große Rolle für die Teamhistorie spielt übrigens der Zufall: Am Dresdner Institut für Angewandte Physik unter Professor Karl Leo wurden Patente an Gründungswillige vermittelt. Da Ronny und seine Mitstreiter schon erste Startup-Erfahrungen gesammelt hatten, kam diese Idee genau richtig.

Ronny Timmreck beschreibt die Geschäftsidee von Senorics. (Foto: dresden|exists)
Ronny Timmreck beschreibt die Geschäftsidee von Senorics. (Foto: dresden|exists)

Und ihre Pläne für die nächsten Jahre? Als erstes wollen sie einen Beer Analyzer auf den Markt bringen. Mikrobrauereien könnten auf diesem Weg die Inhaltsstoffe der Maische ähnlich gut messen, wie es in Großbrauereien mit teuren Anlagen getan wird. So beschreiben Senorics ihre Zielgruppe aktuell eher als Hobbymarkt. Dieser sei aber breit aufgestellt. Denn genauso individuell genutzt werden kann die Technologie beispielsweise zur Bestimmung der Haarstruktur beim Friseur oder zur Messung von Folienqualitäten. Nach dem Release des Liquid Scanners in 2019 möchte das Gründerteam als nächstes einen Solid Scanner auf den Markt bringen. Die Umsetzung des Smartphone-Chips für Endkunden strebt Senorics im Jahr 2022 an.

 

Keine Pille gegen den Tinnitus, dafür aber gute Musik

Wie alles begann: Ein HNO-Arzt hörte das Musikstück „Aus meinem Leben“ von Smetana, das ihn auf die Idee brachte, den Tinnitus musikalisch abzubilden. Über Kontakte fand er Martin Spindler, der bereits im Bereich der barrierefreien Mensch-Computer-Interaktion geforscht hatte. Gemeinsam entstand das Vorhaben eine App zu entwickeln, die den störenden Ton in Einklang mit Musik bringt und so Tinnituspatienten helfen kann. Bei jedem Patienten hat der Ton eine andere Frequenz und kann schwanken. Es ist jedoch möglich, die Tonleiter von Musik so auf den Tinnitus aufzubauen, dass er nahezu darin untergeht. Der Patient wird zwar nicht geheilt, entspannt sich aber beim Hören seiner Lieblingsmusik und wird für eine Weile von seinem Leiden erlöst. Dazu kann er das Musikstück mit den Werkzeugen in der App so lange bearbeiten, bis er den optimalen Ton trifft.

Wie In Harmony den Tinnitus lindert, erklärte uns Martin Spindler. (dresden|exists)
Wie In Harmony den Tinnitus lindert, erklärte uns Martin Spindler. (Foto: dresden|exists)

So weit, so gut – wären da nicht finanzielle Einstiegsbarrieren und die Tatsache, dass es sich um ein Medizinprodukt handelt. Denn anders als bei herkömmlichen Apps müssen medizinische Anwendungen zur gezielten Therapie zertifiziert werden. Das schreckt viele Interessenten ab, erzählt Martin. Er und seine Teamkollegen von In Harmony haben bislang unter Aufsicht von Ärzten vor allem kleinere Tests mit Pilotkunden durchgeführt. Eine groß angelegte Studie ist in Planung, erfordert allerdings den richtigen Partner. Dazu ist das Team mit vielen Unternehmen im Gespräch und kann vielleicht bald die Hürde der Zertifizierung überwinden. Ist diese einmal geschafft, stehen neben dem deutschen Markt auch international Türen offen, denn die Richtlinien ähneln sich zumindest.

 

Okay, let’s put it in the nutshell.

Das Schöne an unseren Meetups ist, voneinander lernen zu können. Die Speaker haben viele Nägel auf den Kopf getroffen und so gibt es hier eine knackige Zusammenfassung für andere Gründungswillige:

  • Lernt eure potenziellen Kunden kennen. Man erfährt dabei viel über die Relevanz und optimale Umsetzung seiner Produkte – und neue Anwendungsgebiete fallen einem quasi vor die Füße.
  • Fachmessen halten viele Kontakte bereit. Auf fast jeder Messe gibt es inzwischen eine Ecke für Startups zu erschwinglichen Konditionen. Ruft ggf. vorher beim Veranstalter an und erkundigt euch.
  • Ein wichtiger Punkt ist der Umgang mit exklusiven Kunden. Viele Kunden stellen sich vor, dass nur sie über die Produkte verfügen dürfen, generieren dir aber im schlimmsten Fall keinen Umsatz. Wenn man sich also für Exklusivität entscheidet, sollte man diese vertraglich unbedingt an entsprechende Zahlungen knüpfen.
  • Marketing spielt eine riesige Rolle. Gerade bei komplizierten Technologien ist es wichtig, von Mensch zu Mensch zu verkaufen. Das baut Vertrauen auf. Gute Kanäle für Branding sind Facebook, LinkedIn, aber auch die lokale Presse.
  • Es gibt zum Gründen kein „Rezept“, sondern man muss vielmehr situationsbezogen Entscheidungen treffen. Dabei ist es hilfreich, sich mit anderen auszutauschen, aber sich gleichzeitig nicht von Einzelmeinungen verunsichern zu lassen.
  • Nutzt ein EFT als Chance, zeitig und gezielt mit dem Produkt an den Markt zu gehen. Auf keinen Fall darauf ausruhen oder noch unnötig viel Zeit bei der Perfektionierung verschwenden.
  • Ohne Investoren und Geschäftskontakte verschwinden gute Ansätze oft wieder in der Schublade. Partner zu gewinnen erfordert ein gutes Gespür dafür, welche Informationen man preisgibt, um die Technologie zu beschreiben und welche man lieber vorerst für sich behalten sollte.
  • Für Investoren ist interessant, wer eure Kunden sind. Könnt ihr Marktführer dazu zählen, erhöht das die Chance gut zu punkten.

Unser nächstes Meetup findet übrigens im Dezember als weihnachtliches Gründerlichteln statt. Wir halten euch auf dem Laufenden, und zwar auf Facebook und natürlich auf der Meetup-Plattform.

 

 

↑ Nach oben